Donnerstag, 20. Februar 2014

"Mutter, wann stirbst du endlich?"

"Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zereißprobe wird."

Provokanter Titel, nachvollziehbarer Inhalt. Martina Rosenberg schildert in ihrem Buch die schwere Zeit, in der sie ihre langsam immer mehr an Demenz leidende Mutter im eigenen Haus pflegte. Dabei sei es vor allem schlimm gewesen, dass ihre Mutter sich nach und nach immer mehr so veränderte, dass man sie eigentlich nicht mehr habe mögen können. Ihre gesamte Persönlichkeit habe sich verändert. Bis sie zum Schluss so gut wie gar nichts mehr selbst erledigen konnte.

Die Pflege wurde zur Belastungssituation für alle Beteiligten, was nicht nur an der Arbeit an sich lag. Auch die finanzielle Situation bleibt nicht unerwähnt: "Hier in Deutschland, wenn Sie selber pflegen, gibt es bei Pflegestufe zwei 520 Euro. Wenn ich den ambulanten Pflegedienst hole, habe ich 1250 Euro zur Verfügung. Das verstehe ich nicht." (Interview mit Frau Rosenberg aus der "Welt"). Ihrer Meinung nach müsse die häusliche Pflege durch Angehörige mit der durch Pflegedienste finanziell mindestens gleichgestellt werden.

Was mich daran aber wieder am meisten zum Nachdenken bringt, war folgende Aussage: "Am Anfang, als sie mitbekommen hat, was mit ihr passiert, war sie todunglücklich und äußerte oftmals den Wunsch, nicht mehr leben zu wollen." (Interview aus der "Welt"). In Anbetracht der unausweichlichen Folgen einer Demenzerkrankung im fortgeschrittenen Stadium würde ich in einer solchen Situation vermutlich ähnlich reagieren. Wer würde das nicht? Ich habe schon von einigen den Satz gehört "Wenn ich eine solche Diagnose bekäme, würde ich nicht mehr leben wollen!".

Aber wie wir alle wissen, lässt unsere Gesellschaft und unser Rechtssystem diesen Wunsch nicht zu. Wie Dr. Cox in der Serie Scrubs mehr als einmal sehr treffend zum Ausdruck bringt, besteht die neuzeitliche Medizin nicht nur daraus, schwere Leiden lindern oder gar heilen zu können. Sie hat auch ihre Schattenseiten. In Form von künstlichen, lebenserhaltenden Maßnahmen, die der Betroffene vielleicht gar nicht mehr in Anspruch nehmen möchte, wird das Leiden z.T. unnötig oder eben auch unterwünscht verlängert. Eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht greift schließlich noch lange nicht in allen Fällen.

Es ist die Frage aller Fragen. Sollte man passive oder gar aktive Sterbehilfe erlauben und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Sollte z.B. einem kleinen Mädchen das Sterben erlaubt werden?

Hannah Jones fasste im Alter von 13 Jahren den Entschluss, nicht mehr leben zu wollen. Durch ihre lange Krankheit geschwächt wollte sie sich keiner weiteren OP unterziehen, gemeinsam mit ihren Eltern erkämpfte sie vor Gericht das Recht, auf weitere medizinische Behandlungen zu verzichten. Und entschied sich dann in letzter Sekunde doch ncoh für die lebensrettende Operation.

In Deutschland ist die aktive Sterbehilfe verboten, in Belgien seit 2002 erlaubt. Seit Februar 2014 hat Belgien als einziges Land in der EU sogar die aktive Sterbehilfe auch für Kinder unter bestimmten Umständen straffrei gemacht.

Ich bin der Meinung, dass Belgien in dieser Hinsicht das Richtige tut. Allgemein sollte in meinen Augen jeder das Recht haben, sofern er nicht durch akute andere Erkrankungen in der Entscheidung beeinträchtigt wird, seinem Leben ein Ende setzen zu dürfen und dabei die nötige Unterstützung zu erhalten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Diskussion um Sterbehilfe einfach häufig durch die Anliegen und Bedürfnisse der Angehörigen geleitet wird, die Bedürfnisse der Betroffenen geraten dabei in den Hintergrund. Schließlich ist es nicht so einfach, zu akzeptieren, dass der / die Angehörige nicht mehr leben möchte.

Dazu fällt mir auch eine andere sehr dramatische Reportage ein, die ich vor kurzem gesehen habe. Nehmt euch mal die Zeit und schaut euch hier einfach nur mal die ersten 1,5 Minuten an. 

Ein Ehepaar erwartete ein Kind, die Schwangerschaft verlief zunächst komplikationslos. Dann gab es bei der Geburt schwere Komplikationen, Luca kommt schwerstbehindert zur Welt. Die Eltern entscheiden sich, die lebenserhaltenden Maßnahmen abzuschalten, Luca wird noch schnell getauft, die gesamte Familie verabschiedet sich. Doch Luca lebt unerwartet weiter.

Mit 4,5 Jahren ist Luca blind und taub, seine Lungen setzen sich regelmäßig mit Schleim zu und müssen abgesaugt werden. Er bekommt täglich bis zu 40 Krampfanfälle. Luca spricht nicht, kann nicht gehen oder sitzen, seine Bedürfnisse beinahe gar nicht äußern. Er starrt den ganzen Tag an die Decke, auf Ansprache oder Berührungen reagiert er kaum. Er ist sehr anfällig für Lungenentzündungen und andere Infekte, würde seine Lunge nicht ständig ausgesaugt werden, würde er sehr bald sterben.

Wie die Reportage sehr eindringlich zeigt, ist die Belastung der Eltern riesig groß. Schließlich hatten sie sich schon bei der Geburt eigentlich dazu entschieden, Luca gehen zu lassen. Beide geben an, auch nach 4,5 Jahren immer noch häufig weinen zu müssen und die Situation nicht verarbeitet zu haben.

Vielleicht klingt es grausam... Aber so, wie man es in der Reportage sieht, scheint mir ein solches Leben nicht lebenswert. Auch die Eltern sagen dies selbst. Warum kann man Luca dann nicht von seinen ständigen Krämpfen, Lungenentzündungen und Krankenhausaufenthalten befreien? Wieso müssen schwer demenzkranke Personen bis zuletzt weitergepflegt werden, bis sie sich nicht mehr verständigen, geschweige denn irgendeiner Tätigkeit selbständig nachgehen können?

Die immer weiter fortschreitende medizinische Entwicklung stellt unser System vor ethische Fragen, die man offenbar nicht imstande ist, so einfach zu lösen. Selbstverständlich ist ein Menschenleben das höchste Gut, aber gerade deshalb sollte man die Entscheidung darüber demjenigen selbst überlassen. Belgien, Luxemburg und die Niederlande haben diesbezüglich doch auch Regelungen gefunden, ich frage mich, wann die übrigen EU-Länder dem endlich nachziehen.

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